Regiekommentar

von Andreas Wilcke

Zwischen schick sanierten Alt- und futuristisch anmutenden Neubauten, die mit Klamottenläden, Youth Hostels, Sushiläden und Galerien bestückt sind, reckt sich ein graues kolossartiges Ungetüm in betörender Hässlichkeit wie eine Festung ´gen Himmel. - Die Volksbühne. Dieses Haus, dessen Bau im Jahr 1915 von den Spendengroschen der SPD-Mitglieder finanziert wurde, um ein Theater zu schaffen, in dem Arbeiter ihre eigenen Stücke realisieren konnten, entwickelte im Verlauf der darauffolgenden Jahre eine ganz eigene Dynamik und erfand unter Regisseuren wie Piscator, Marquard, Besson das Theater immer wieder neu. Diese Tradition aufnehmend haben Frank Castorf und sein Kostüm- und Bühnenbildner Bert Neumann in der Volksbühne ein Vierteljahrhundert lang einen Mikrokosmos erschaffen, der vielen als identitätsstiftende Trutzburg, als renitente Insel im immer schicker und monotoner werdenden Zentrum der Hauptstadt galt. Die von ihnen verantworteten  Marathoninszenierungen waren wahre Assoziationsorgien, die dem oft ohnehin epischen Charakter des Stückes bzw. der Romanvorlage anderes historisches Material einverleibten (getreu dem von Heiner Müller geprägten Motto: „Theater heißt - mit den Toten reden“) und dem Zuschauer alles abverlangten. Getragen wurden diese Abende von den 230 Mitarbeitern des Theaters aus den verschiedensten Gewerken: u.a. der Technik, der Maske, der eigenen Schneiderei und der eigenen Holz- und Metallwerkstätten, der Requisite sowie dem Ensemble. Als diese sich in einem offenen Brief an die Medien wandten, da sie ihre Arbeitsplätze unter dem von der Politik neu installierten Intendanten bedroht sahen, war das der Startschuss für meinen Film. Ich wollte an Hand der letzten Spielzeit untersuchen, was es auf sich hat mit dem Mythos Volksbühne, und wollte mit der Kamera dabei sein, wenn sich diese Theatermenschen noch einmal zusammenraufen, um ein letztes Feuerwerk im Angesicht einer ungewissen Zukunft zu entzünden.


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